Des Rätsels Lösung

Hallo? Hier ist SK-94 / 0107322

Ich bin ein Rettungsfallschirm mit der Nummer 0107322, und Mitglied aus der Scharnsteiner-Rettungsfallschirm-Familie. Ich wurde 2020 von meinen Fallschirm-Kollegenausgewählt, um euch Piloten unsere Einsatzbereitschaft, unsere Fähigkeiten, aber auch unsere Sorgen näher zu bringen. Ich bin inzwischen seit 19 Jahren für eure Sicherheit im Einsatz und werde im nächsten Jahr in den Ruhestand geschickt. Wir Rettungsfallschirme sind Schwerstarbeiter (ohne Zulagen), wir arbeiten bei großer Hitze und bei Kälte, immer auf sehr beengtem Raum, ständig in Bereitschaft und wir sind immer unter Druck; wir fallen sozusagen unter das Schwerarbeitergesetz und unter die ‚Hacklerregelung’. Daher werdenwir nach längstens 20 Dienstjahren (ohne Ausgleitmöglichkeit) in Pension geschickt.

…. und das ist echt nicht unberechtigt! I mmerhin haben meine Fallschirm-Kollegen im Laufe der Jahre, schon zwei – nein, eigentlich sind es drei – Scharnsteiner Piloten vom Himmel wieder sicher zu Boden gebracht!

Aber bevor wir tiefer in die Thematik eintauchen, möchte ich euch noch die zwei Gruppen meiner Rettungs-Fallschirm-Kollegen hier vorstellen: Für den Blanik – und nur wegen seiner speziellen Sitzwannen – kümmern sich die beiden tschechischen MarS / ATL 88/90 Schirm-Kollegen. Alle anderen sind meine neun polnischen Air-Pol / SK-94Schirm-Kollegen.

Dabei fällt auf: die SK-94-Kollegen weisen das geringste Sinken auf. Andere gängige Fallschirmtypen liegen meist über 5 m/sec. Die oft verwendeten Mertens 23R werden mit 5,5 m/sec und die Specon RE, beide Serien 4 und 5, werden im Datenblatt mit 6,1m/sec angegeben. Das bedeutet wir achten auf Eurer Wohlergehen, wenn wir mal raus müssen und auf Eure Knochen! Macht schon einen Unterschied ob Ihr vom Balkon springt oder vom Dach eines Hauses.
Zu erwähnen sei auch, dass wir bei der amtlichen Typenprüfung mit jeweils +20 % mehr Traglast und Geschwindigkeit auf Herz und Nieren getestet werden.
Wir sind Zwitterwesen – eigentlich sind wir zwei Schirme, nähmlich ein mit einer starken Sprungfeder ausgestatteter kleiner Hilfsschirm, der, einmal im Luftstrom, blitzartig den Hauptschirm herauszieht – und, wir sind nach innen eher zart, nach außen jedoch sehr robust gebaut. Das spezielle Gewebe unserer Hauptschirme ist hauchdünn aber sehr reißfest, und – ganz wichtig – beschichtet, beschichtet um den Luftstrom durch das Gewebe zu minimieren, denn dies ermöglicht es erst, so dünne und leichte Materialien zu verwenden. Diese Beschichtung diffundiert aber mit den Jahren langsam ab und in der Folge erhöht sich die Sinkgeschwindigkeit. Dies ist übrigens auch einer der Gründe, dass wir nach 20 Dienstjahren in den Ruhestand geschickt werden. Folglich ist es auch keine gute Idee, und zudem nicht legal, uns im Ruhestand weiter ins Flugzeug zu holen und weiter unsere Dienste in Anspruch zu nehmen. Zudem würde uns in diesem Fall, kein verantwortungsvoller Packer jemals wieder packen!
Wenn wir schon beim Packen sind: Wir genießen es alle, wenn uns der Packer – einmal im Jahr raus lässt, so gegen das Frühjahr hin, alle unsere Nähte und Verschlüsse inspiziert, unsgut lüftet und dann wieder sorgfältig packt.
Hierbei ist jede Gruppe von uns völlig unterschiedlich zu packen; dabei wird die speziell zusammengefaltete Schirmkappe im Container platziert. Das ist eine anspruchsvolle Arbeit wenn die Fläche eines mittleren Wohnzimmers auf ca 45x 30cm zusammenorganisiert werden soll.
Unsere äußere Schutzhülle, der Container, ist aus robustem Material gefertigt und schützt uns gegen mechanische und viele chemische Einflüsse. Sogar dem fallweise aggressiven Flugschülerangstschweiß wiedersteht der Container locker. Allerdings hat auch er seine Grenzen, nämlich dann, wenn er direkt mit Wasser in Kontakt steht. Etwa der Klassiker: Außenlandung nach dem Gewitter, Stress, und während des Abrüstens den Fallschirm unachtsam am nassen Boden abgelegt; und schon kann Wasser ins Innere einziehen und in der Folge Schimmel bilden. Einem ganz jungen Kollegen – 0107322 – ist es genau so ergangen, bemerkt wurde es, als von außen Verfärbungen zu sehen waren, und ich sehe noch die großen Sorgenfalten unseres Packers, als er ihn öffnete. Er hatte bereits mehrere Verfärbungen an der Kappenbasis und musste zu einem Spezialisten zur genauen Prüfunggeschickt werden. Er blieb aber im ‚grünen Bereich’, es war unansehnlich und musste bis zu seiner Pensionierung von unserem Packer genau im Auge behalten werden.
Was uns allen überaus zusetzt, ist die Sonne – im Speziellen die UV-Strahlung! Nicht dem Container, der bleicht nur aus, sondern den Nähten an den Gurten und Verschlüssen, deren Festigkeit vermindert sich bei gehäufter UV-Belastung drastisch. Sie sind zwar überdimensioniert, aber alles hat seine Grenzen. Und es ist zum ‚Himmel schreien’, wenn ein sorgloser Pilot unsereinens als Ballast an der Flügelspitze in der prallen Sonne ablegt, um den Flügel bis zum Thermikbeginn, bzw. Start zu sichern!

Das tut uns gar nicht gut! Auch empfinden wir Ekel gegenüber Benzindämpfen. Das trifft jene Kollegen, die im Cockpit eines Flauten- oder Klapptriebwerk-Segelflieger ihren Dienst tun und dort gelagert werden. Aber in diesem Zusammenhang ein ‚dickes’ Lob an die hiesigen Piloten, welche sehr konsequent unsereins in die dafür vorgesehenen Boxen am jeweiligen Gehänge deponieren. Verbliebe der Schirm doch einmal für einige Tage im Cockpit, riecht dies mit Sicherheit der Packer beim nächsten Öffnen – anhand der ausströmenden ‚Benzinfahne’!

Ihr werdet es schon bemerkt haben, die jüngst engagierten SK-94-Kollegen sind kompakter, fester und der Auslösegriff ist höher angebracht. Dies ist auch einem Trend geschuldet, wonach die Piloten immer kleinere und kompaktere Schirme verlangen. In der Praxis führt dies aber auch zu Nachteilen, denn diese Schirme sind zwar vor allem schmäler und wirken optisch kleiner, sind aber zwangsläufig kompakter gepackt, dadurch fester und können sich der Pilotenstatur nicht mehr so gut anpassen. Auch der Packer hat damit seine Not, denn er muss nun dieselbe Kappe samt Leinen in einem nun kleineren Container unterbringen. Und beim Einstecken der Verschlusssplinte (diese werden beim Auslösen des Schirmes herausgezogen) ist enorme Kraft aufzuwenden. Aus diesem Grund hat er sich ein spezielles Packwerkzeug – eine kleine Winde – angefertigt, und mit deren Hilfe kann er nun, nur mit geringer Kraft und ohne Zeitdruck, die Verschlusssplinte einstecken.
Hin und wieder kann es passieren, dass sich bei einem Kollegen eine Containerlasche verschiebt und sich ein Teil der darin gefalteten Fallschirmkappe zeigt. Dies sollte besservermieden werden; jeder Pilot soll bitte, wenn der Packer nicht am Platz ist, diesen Missstand selbst korrigieren. Allerdings unter der Voraussetzung das nur die Finger zum Hineindrücken und zum Nachschieben der Containerlasche verwendet werden. Und noch eine Bitte: bitte, bitte, wenn ihr Beschädigungen oder Unklarheiten an einem der Schirmkollegen bemerkt, diese unbedingt dem Packer oder anderen Vereinsmitgliedern melden.
Einige Schirme aus der SK-94-Gruppe sind beschriftet und einem bestimmten Flugzeug zugeordnet, dies ist historisch bedingt, nicht mehr gültig und daher nicht zwingend einzuhalten. Es kann sogar sein, dass neuere, kompaktere Schirme besser mit einem bestimmten Flugzeugtyp harmonieren – die Zukunft wird es zeigen. Jedenfalls sind alle Schirm-Kollegen bestens motiviert und können in jedem Flugzeug – außer dem Blanik -verwendet werden.
Wichtig: alle Vereinsschirme, und nur Vereinsschirme, sind mit LOLC gekennzeichnet und dürfen nicht mit eventuell herumliegenden Privatschirmen verwechselt werden!
Meine Kollegen haben mir explizit aufgetragen, dass ich euch Piloten nahelegen soll, dass ihr euch Gedanken über die Abläufe eines Notabsprunges machen solltet. Dazu am Besten einen Fallschirm-Kollegen auf den Rücken schnallen, alle Gurte und Verschlüsse bewusst wahrnehmen, einstellen – aber dabei bitte NICHT den Auslösegriff ziehen! Auch wie ihr im Fall des Falles aus dem Flugzeug rauskommt sollte überlegt werden. Am besten fügt man diese Abläufe zu einem mentalen Trainingsplan. So wie vor jedem Start Zeit sein sollte einen möglichen Startabbruch durchzudenken, sollte man sich über den Ablauf eines Ausstiegs Gedanken machen.
Ab dem Ziehen des Auslösegriffes übernehmen dann wir.
Ist der Schirm einmal geöffnet, kann mit den zwei Seilschlaufen an den Leinen eine Drehung (links/rechts) des Fallschirmes eingeleitet, und in Folge der etwa 2 m/sec schnellen Vorwärtsfahrt, auch eine eingeschränkte Richtungsänderung durchgeführt werden. Landen nach Möglichkeit gegen den Wind. Vor der Landung Beine zusammen pressen und dabei unbedingt die Knie leicht beugen. Bei einer Baumlandung Unterschenkel gekreuzt halten, sonst könnte es höher oben sehr schmerzlich werden. Am Boden, wenn möglich die Vertikalbewegung durch Abrollen horizontal verteilen. Rasch auf den Rücken drehen und schnell die Gurte lösen, damit euch der vielleicht starke Bodenwind nicht mitziehen kann…..
und nach der Landung bestenfalls eine Zigarette rauchen oder eine Tasse Kaffee trinken, aber bitte mit beiden Händen!
Mit einem herzlichen Glück ab, gut Land!
Anton Achleitner – alias Alpha Alpha (the Packer